Countdown
Manuel schlenderte die Straßen entlang. Die Laternen flackerten leicht, so als stieße der Wind sie in einem nächtlichen Rennen durch die Stadt leicht an. Der Weg nach Hause schien noch weit und wurde durch die zementierten Beine er-schwert, die Manuel schmerzten und beim Gehen behinderten. Das Ziel war nahezu unerreichbar, aber Manuel durfte nicht aufgeben. Wenn er jetzt anhalten würde, hätte er verloren. Dann würden die Geier der Nacht über ihn herfallen und alles an sich reißen, was er bei sich trug. Das wusste er. Und soweit wollte er es nicht kommen lassen, so dass er seine letzten Kräfte mobilisierte und weiter fortschritt. Die säumenden Häuser verschatteten, nachdem ruckartig das Licht ausgeknipst wurde. Der vorliegende weitere Weg dehnte sich durch das Meer an Schwarz aus wie Gummi. Wann würde er es endlich geschafft haben? Würde dann die Sonne wieder scheinen? Die Sonne, die sich vor Stunden gebettet hatte, um neue Kraft zu tanken. Kraft, die er sich jetzt herbeisehnte und so sehr er auch flehte, nicht bekam. Seine Beine verkrampften, in seine Seiten stachen kleine Nadeln. Auch ein letzter Schluck in seiner Flasche versprach keine Linderung.
Manuel fluchte, dann trat er gegen einen Mülleimer, der daraufhin umfiel und den Müll auf dem Steig verteilte. Reste einer Bierdose spritzen in sein Gesicht und vermischten zusammen mit seinem Schweiß zu einem beißenden Geruchscocktail, der von seiner Wange auf den Boden tropfte. Manuel stöhnte, dann biss er die Zähne fest zusammen und knurrte. Warum musste ihm immer so etwas passieren? War er nicht bereits genug vom Leben gezeichnet? Er musterte seine ausgefranste Narbe, die knapp vom Ellbogen wie ein Krater zum Handgelenk führte und das Resultat einer Schlägerei war. Einer Schlägerei, die wie ein Erdbeben sein Leben erschütterte und alles, was zu vor fest in seinem Leben verankert war, ins Wanken brachte. Seitdem fühlte sich Manuel nicht mehr sicher, wenn er alleine durch die Nacht ging. Selbst ein Marsch im gleiten-den Sonnenlicht, außerhalb ihm vertrauter Wege, bereitete ihm Kopfzerbrechen und Sorgenfalten. Ständig musste Manuel sich umdrehen, überprüfen, ob er nicht verfolgt würde. Jedes unerwartete Rascheln, jedes Antiken löste in ihn ein Unbehagen aus. Waren sie Vorboten für das nächste Erdbeben, wo er wieder hilflos zu Boden stürzen würde? Würde er diesmal begraben werden? Manuel stoppte. Seitdem er unterwegs war, hatte er sich noch nicht abgesichert. Wurde er verfolgt? War ein dunkler Schatten sein Begleiter?
Manuel zitterte. Die Steine des Gehweges gaben unter seinen vibrierenden Füßen leicht nach. In der Ferne hörte Manuel eine Eule heulen. Dann einen lauten Knall. Sein Knopf schmerzte, seine Ohren verdumpften. Schweiß triefte, sein Kopf wurde heiß. Er schloss die Augen, dann zählte er von Hundert runter bis Null, so wie es ihm seine Psychologin für Paniksituation geraten hatte. Es ist alles in Ordnung. Du bist in einer sichereren Gegend. Dir passiert nichts. Ganz ruhig, Manuel. Doch seine Worte löschten nicht den brennenden Schmerz, der durch seinen ganzen Körper fuhr, sondern entzündeten den Brand noch mehr. So als wären sie wie ein Brandbeschleunigter über seinen trockenes Inneres gekippt worden. Manuel schrie. Dann wurde seine Stimme immer brüchiger und zerbrach unter der drückenden Last. Sein Atmen stockte, dann kam es ihm vor, als würde jemand seine Kehle fest zudrückten. Hatten ihn seine damaligen Verfolger aufgespürt? Wollten sie heute beenden, was sie damals begonnen hatte? Du bildest dir alles nur ein. Hier war keiner. Er war ganz alleine in der verlassenden Straße. Doch warum bekam er dann keine Luft mehr? Als er gedanklich bei null angekommen war, öffnete er die Augen und schluckte.
7. Juni 2012