No One Night Kill 6
Vorherigen Teil lesenBernadette zögerte. Zu groß war ihr Respekt vor dem roten Cocktailturm mit den Kirschantennen. Zu schön empfand sie das Lichtspiel. Und eigentlich war es viel zu viel für sie. Das große Glas. Das Glas der unbekannten Flüssigkeit. Was würde sie erwarten? Bernadette wusste es nicht. Aber einen Schluck zu probieren konnte ja nicht schaden. Betrunken würde sie davon ganz gewiss nicht und dann wären die Beiden auch zufrieden, würden Ruhe geben. Dann nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und setzte an den Strohhalmen an. In diesem Moment kam es ihr vor, als wenn sie sich nicht mehr auf dem Stuhl gegenüber von Antonio und Raphael säße, sondern sie wirklich von einem Wolkenkratzer ehrfürchtig auf den tiefen Boden, den Boden des Glases, blicken würde. Und alles unten in weiter Ferne liegen würde. Unwirklich wie Spielzeugfiguren. Je mehr sie nachdachte, je mehr sie ins Glas schaute, desto größer wurden ihre Zweifel, ob sie den Red Death wirklich bezwingen würde. Doch sie sollte kein Angsthase sein. Wollte den Abend nicht verderben. Nicht jetzt, nicht heute. Sie drückte die Lippen aneinander und zog an den Halmen. Der blutige Cocktail spritzte direkt durch die zwei Adern in ihren Mund. Ein Hauch von Kirsche durchspülte ihren Rachen, dann wich der Kirschengeschmack einer feinen Zitrusnote, ehe ihr Hals leicht brannte und Bernadette den Blutstrom wieder abbremste. „Und? Wie schmeckt es dir?“, wollte Raphael direkt wissen. Antonio, der unterdessen eine Mail auf seinem Handy beantwortete, nahm keine Notiz von Bernadettes Bezwingen des Turmes. Erst als Raphael Bernadette zum zweiten Mal nach ihrer Meinung fragte, erwachte er aus seiner scheinbaren Lethargie. „Sprachlos?“, fragte Raphael Bernadette. Antonio musterte ihr Glas, dann ging sein Blick zu Bernadette. „Guck‘ mal an. Ist einiges weggegangen. Scheint ihr zu schmecken. Nicht wahr, mein Engel? Ist ‘ne Bombe der Drink oder?“. Bernadette nickte. „Joar, schmeckt lecker, aber ist viel Alkohol drin. Mir etwas zu viel, aber sonst ist der lecker. Ja. Danke. Also wenn ich gleich Unsinn reden sollte, wisst ihr Bescheid.“ Bernadette lächelte, dann nahm sie wieder einen Zug. „Kein Problem. Antonio und ich sind ja da und helfen dir, falls es gar nicht mehr geht. Aber das wollen wir ja nicht hoffen, dass der dich so umhaut.“ Antonio lachte. „Ach was, wird er nicht. Und wenn, warst du einfach zu schwach und nicht er zu stark, mein Engel. Erzählst du uns jetzt was von dir? Wir platzen gleich vor Neugier und du willst ja nicht, dass es eine Riesensauerei gibt.“
2. Mai 2012